Verklärung der Volksbühne beenden: Mit Tradition und Stärke die Arbeit fortführen!

Wenn ich an die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz denke, fällt mir natürlich das Räuberrad ein und Menschen, die die Bühne geprägt haben – Menschen wie Frank Castorf und eben René Pollesch.

Nach René Polleschs Tod herrscht trotz des laufendenden Betriebs eine etwas unheimliche Stille um die Volksbühne. Wir befinden uns in einer Art Vakuum zwischen der Arbeit eines Intendanten, der nicht mehr lebt, und einer neuen Intendanz, die noch nicht gefunden ist.
Erste Stimmen melden sich mit Ideen. Die Zeit verleitet dazu, einen Neustart für das Haus zu fordern. Aber das wäre ein Fehler, schlimmer: es wäre ein Fehler, den die Berliner Kulturpolitik schon einmal begangen hat.

Denn als die Intendanz von Frank Castorf voreilig beendet war und der belgische Kurator Chris Dercon zum Aufbau der „Neuen Volksbühnen“ nach Berlin eingeladen wurde, hat nicht nur die Politik und besonders meine Partei, die SPD, an Vertrauen in Berlin und der Theaterwelt verloren. Die Volksbühne wurde regelrecht zerschunden in den Auseinandersetzungen der Folgejahre. Eine der wichtigsten deutschen Bühnen war an den Rand des Ruins gebracht, als Chris Dercon die Stadt verließ und das Haus an den ebenso erfolglosen Interimsintendanten Klaus Dörr übergab. Ganz erholt hat sich die Volksbühne nach Corona, Krieg und Inflation noch nicht. Dennoch verdanken wir René Pollesch viel.

Wir verdanken René Pollesch ein wichtiges Werk als Dramatiker und Regisseur. Und wir sehen durch sein Wirken auch, dass die Volksbühne wieder ein Ort der darstellenden Kunst geworden und in ruhiges Fahrwasser gekommen ist. Die knapp zweieinhalb Jahre seiner Intendanz sind damit zu einem wichtigen Scharnier geworden, das die Vergangenheit der Volksbühne mit ihrer Zukunft verbindet.

Wir stehen also an einem günstigen Moment, um an die Entstehung des Theaters aus der Volksbühnenbewegung zu erinnern. Ihre Modernität gilt es, im Zeichen der kulturellen Daseinsvorsorge zu erhalten. Zum politischen Anspruch muss es gehören, die Verbindung von Theater und Publikum ernst zu nehmen – so viel sollte man nicht nur von der Besucherflucht gelernt haben. Die Idee, Theater für diejenigen anzubieten, die es sich nicht so einfach leisten können, ist nach wie vor bestechend. Wichtig bleibt auch, dass Theater erreichbar und auffindbar ist, ein Anziehungspunkt. Wer sind also die Zuschauer von morgen? Wo finden sie das Theater der Zukunft?


Volksbühne: Ein einzigartiger Ort für Zeitkritik und Machtkritik

Berlin hat sich in den 35 Jahren seit dem Mauerfall verändert, Berlin ist internationaler und vielsprachiger geworden. Und die Volksbühne steht wie kein anderes europäisches Theater für die Verbindung von Ost und West. Hier überlagern sich Erfahrung, Wissen und Anspruch aus der Beschäftigung mit den beiden deutschen Vergangenheiten, die Berlin ausmachen. So ist die Volksbühne ein einzigartiger Ort für Zeitkritik und Machtkritik.
Und nun? Die Volksbühne soll wieder ein Leuchtturm unter den deutschen, europäischen und internationalen Bühnen werden. Dazu soll sie sich auf sich besinnen dürfen. Konsequent und in jeder Hinsicht. Denn was die Volksbühne schon längst hat, sollten wir nicht unterschätzen und dürfen wir nicht gefährden. Daher lohnt ein Blick auf das, was die Volksbühne an Möglichkeiten bietet.

Die Volksbühne hat mit der großen Bühne, mit dem roten/grünen Salon und Prater ein ungewöhnliches Spielstättennetz in der Mitte der Stadt. Die Bühnen in Wechselwirkung miteinander zu verstehen, bietet eine unglaubliche Chance ihre Möglichkeiten noch besser zu nutzen. Die Volksbühne strahlt aber auch mit den vielen Schauspielerinnen und Schauspielern, die es über die Jahre an die Volksbühne gezogen hat.

Ohne das Spiel von Sophie Rois, Milan Peschel, Martin Wuttke, Astrid Meyerfeldt, Fabian Hinrichs oder Caroline Peters wäre die Volksbühne nur eine von vielen Berliner Bühnen. Einer kommenden Intendanz kommt also die Aufgabe zu, künstlerische Persönlichkeiten an das Haus zu binden und dort in ihrer Entwicklung zu ermutigen. Was sich wie selbstverständlich anhören mag, ist es leider noch immer nicht: Theater soll ein schöpferischer Raum sein, der entschlossen und auf allen Ebenen ohne jegliche Form von Machtmissbrauch auskommt.

Vergessen wir nicht, dass zu den prägenden Persönlichkeiten der Volksbühne nicht nur Intendanten, Regisseurinnen und Regisseure und Schauspielerinnen und Schauspieler gehören. Die Arbeiten Bert Neumanns wären ohne die ausgezeichnete Infrastruktur der Werkstätten kaum denkbar. In allen Gewerken hinter der Bühne arbeiten hochqualifizierte Expertinnen und Experten für Bühnenbild, Requisite, Kostüm oder Maske, in Werkstätten oder in der Bühnentechnik. Die Produktionsbedingungen in der Volksbühne sind fantastisch, die Ausstattung so vieler Inszenierungen hat deren Erfolg zumindest begünstigt, wenn nicht sogar ermöglicht. Gerade hierin bestand ein Fehler im Erneuerungsdrang nach der Castorf- Zeit, diese kreativen Potenziale entgegen jeglicher Vernunft außen vor gelassen zu haben. Wer angesichts der Verstärkung des Fachkräftemangels auch im Bereich öffentlicher Kultur und Theater noch einmal vorhandene Produktionsstrukturen in der Volksbühne vernachlässigt, wird das Haus dieses Mal endgültig in Schieflage bringen und seinen Bedeutungsverlust besiegeln.

Wer aber die oftmals langjährige persönliche Bindung der an der Volksbühne Beschäftigten mitdenkt, kann das Haus für die Reinitialisierung seiner Gründungsidee nutzen. Die Volksbühne kann die Bühne für alles sein, was die Stadt verhandelt. Sie verbindet Vergangenheit und Zukunft, Ost und West, Anspruch und Wirklichkeit und auch Internationalität. Sie muss kein weiteres Produktionshaus werden, sondern kann mit gebauten, festen Strukturen, mit Bekenntnis und guter Arbeit überzeugen. Ensemble und Personal in sicherer Arbeit passt wunderbar zu fairen Bedingungen für freie Gruppen oder Gastspiele. Man kann der Volksbühne nur wünschen, dass sie nicht wieder von neuen Ideen überrannt wird, sondern sich auf sich selbst besinnen darf. Die Volksbühne wieder Volksbühne sein zu lassen, das sollte sich auch die Kulturpolitik zum Ziel setzen.

Denn nach wie vor ist das Problem bei der Volksbühne, dass sie als Theater oft nicht verstanden wird. Vielmehr wird sie als symbolischer Ort verklärt. Eine nüchterne Betrachtung aber zeigt ein ideale Spielstätte mit viel Wissen und Erfahrung, wie man kleinere und große Bühnen bespielt. Ein fertiger Spielplan erlaubt es, in aller Ruhe nach einer Leitung zu suchen, die das Haus versteht und mit Blick auf dessen Stärken die Arbeit aufnimmt. Es ist nicht weniger als das, aber diese Form von Besinnung auf die Tradition des Hauses wäre klug.

Mit Morgenpost+ online lesen:
https://www.morgenpost.de/kultur/article242241124/Es-geht-darum-die-Volksbuehne-zu-verstehen.html

Es  geht  darum, die Volksbühne zu verstehen